Sylvia Müller auf der Schießbahn der BogenSportWelt.deEin Beitrag von Veronika Müller / 15. Mai 2015

Rabenjagd im 1000-Fenster-Palast
(Marktführer in Deutschland: Bogensportwelt in Anklam)



Irgendwann standen da auf einmal 3000 Quadratmeter Ratlosigkeit mitten in der Stadt. Eins von vielen Gebäuden in der Region, aus denen man so viel machen könnte, wenn denn nur jemand sich ihrer annehmen würde: Der 1000-Fenster- Palast in Anklam. Wer hätte ahnen können, dass 0,36 Quadratmeter die Rettung bringen würden? Eine Geschichte, die zeigt, dass man manchmal schon mit einer guten Idee voll ins Schwarze treffen kann.

ANKLAM. Vor 85 Jahren war es eines der modernsten Gebäude in der Region: Ein Eisenbetonbau auf vier Etagen im Bauhausstil, Sitz der Anklamer Möbelfabrik. Nach der Wende wurde die Fabrik geschlossen, dann zog hier die Grafik- und Designschule ein. Als die dann 2011 nach Greifswald ging, sahen viele schwarz für den 1000-Fenster- Palast. Ein Essener Investor hatte das Haus zwar ersteigert und tönte von einem modernen Loftschloss, aber er hatte das Haus gekauft, ohne es einmal gesehen zu haben. Es geschah... – nichts, wie man das viel zu oft in der Region erleben muste.
Bei der zweiten Auktion im Jahr 2012 hoben dann zwei Einheimische die Hand für die Immobilie: René Kliewe und Sven Stieme von der Bogensportwelt. Von Anklam aus beliefern sie mit ihrer Firma Bogenschützen mit dem feinsten Zubehör für ihr Hobby. Was viele noch mit ihrer Kindheit verbinden, ist heute ein professioneller Sport mit Hightech-Ausrüstung – und damit auch ein echter Wirtschaftsfaktor.


Marktführer in Deutschland: Eben die Bogensportwelt in Anklam. Hier wurden aber nicht nur viele Jobs in der Produktion und im Vertrieb geschaffen, sondern auf den 3000 Quadratmetern blieb auch genügend Raum für eine Sporthalle, in der Einheimische und Gäste hautnah erleben können, wie es zu diesem Aufstieg kommen konnte: Nur, wer selbst einmal so einen modernen Bogen mit den unglaublich präzisen Pfeilen gespannt hat, kann erahnen, wie viel Spaß es machen kann, sich perfekt für dieses Hobby auszurüsten.


Und weil so ein Bogen nichts mehr mit den Flitzebogen aus der Kindheit gemein hat, hilft dabei Sylvia Müller. Seit sie zehn Jahre alt ist, kann sie mit Pfeil und Bogen umgehen. Inzwischen brachte sie es zu zahlreichen Meisterschaften - die kleine Zielscheibe immer wieder ins Herz oder Gold, wie die Bogenschützen sagen, zu treffen, ist für sie kein Problem. Und da sie dieses Wissen auch anderen beibringen wollte, machte sie den Trainerschein, hat jetzt sogar die A-Lizenz. Damit ist sie Mecklenburg-Vorpommerns einzige A-Trainerin.

Ganz so hoch hinaus wollen die vier künftigen Bogenschützen aus Heinrichsruh bei Torgelow nicht, die an diesem Tag Robin Hood die Reverenz erweisen wollen. „Nur so zum Zeitvertreib ist das gedacht“, sagt André Leopold, der sich mit seinem Sohn Noah und Lebensgefährtin Anja Poch und deren Sohn Tim zu einem Kurs bei Sylvia Müller angemeldet hat. Die drei „Männer“ haben bereits mit einem Bogen Bekanntschaft geschlossen - auf dem heimischen Hof. Sie greifen gekonnt zu den modernen Sportbögen aus hochwertigen Materialien wie Aluminium, Carbon, Glasfiber- und Holzlaminaten, die wie die traditionellen Bögen auf der Schießbahn der Bogensportwelt bereitstehen. Doch gemach: erst die Theorie, dann der Schuss. Also hören sich alle vier an, was die Trainerin zu sagen und zu zeigen hat. Und auch an die Sicherheit muss gedacht werden. Also wird sorgfältig der Armschutz angelegt, dann ist der Fingerschutz dran. Gekonnt streifen Noah und Tim sich das winzige Lederding über. Jetzt endlich schießen. Doch erneut heißt es: Stopp. Die Körperhaltung wird korrigiert, der Kopf ebenfalls. Es braucht seine Zeit, bis der erste Pfeil über die Bahn in Richtung Ziel saust. Die 60 mal 60 Zentimeter große Scheibe scheint auch etwas gegen Pfeile zu haben – zumindest gegen die der beiden Jungen. Nur widerwillig lässt sie sich anfangs treffen. Doch die drei Männer schießen sich ein, werden immer besser. Anja Poch hingegen hat noch nicht einmal einen Bogen in der Hand. Ein Gymnastikband dient als Übungsgerät. „Das macht sich ganz gut, um Körperhaltung und Spannung in Einklang zu bringen, ein Gefühl fürs Bogenschießen zu entwickeln“, erklärt Sylvia Müller diese Methode, die von den anderen mit einem schelmischen Lächeln begleitet wird. Doch die junge Frau lässt sich nicht irritieren, macht eifrig weiter und setzt dann endlich den ersten Pfeil in Bewegung. Der fliegt mitten ins Herz der Zielscheibe. Treffer! Da staunen die Herren in der Runde nicht schlecht. Weiter geht es: Die Trainerin scheint überall gleichzeitig zu sein, steht jederzeit jedem zur Seite. Es macht Spaß, das ist offensichtlich. Und dann das große Finale: Wer trifft den kleinen Raben hoch oben unter der Decke? Kein Problem: Noah legt an, zielt und jubelt: Getroffen. Der Schuss hat gesessen. Jetzt will Tim es ebenfalls wissen. Sein Pfeil saust erst einmal vorbei, doch der nächste fliegt fast mitten ins Herz des „falschen Vogels“. Am Ende zählen die beiden stolzen Robin Hoods vier Treffer. Eine gute Ausbeute für einen Nachmittag. „Das war prima“, sind sich die vier einig. Denn hier hatten sie nicht nur Spaß, hier haben sie auch etwas gelernt.

„So ist das immer“, freut sich Sylvia Müller. „Erst wollen sie nur mal gucken, testen, probieren und dann sind sie hin und weg, wollen gar nicht mehr aufhören.“ Sie ist sicher: Die sieht sie wieder. Wie auch die drei Männer auf der anderen Seite der Schießbahn. Sie testen heute einen traditionellen Bogen. Mit Erfolg, wie sich herausstellt. Großes Strahlen im 1000-Fenster-Palast.
 

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